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Der Unfall in Tschernobyl

Am 26. April 1986 kam es in Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl in der Ukraine zum bislang grössten Unfall in der Geschichte der Kernenergie. Ursache waren gravierende Mängel in der Bauweise des sowjetischen Reaktortyps RBMK und eklatante Defizite in der Sicherheitskultur. Durch grobfahrlässige Fehler der Bedienungsmannschaft geriet ein Reaktor bei Tests zur Notstromversorgung ausser Kontrolle und explodierte. Ein offener Graphitbrand trieb tagelang grosse Mengen radioaktiver Stoffe durch das zerstörte Dach der Reaktorhalle in hohe Luftschichten, wo der Wind sie bis nach West- und Nordeuropa verfrachtete. Die Verantwortlichen informierten nur zögerlich, wodurch das Betriebspersonal und die Bevölkerung unnötig hohen Strahlungsdosen ausgesetzt waren.

Über 400’000 Einsatzkräfte aus der Betriebsmannschaft, der Feuerwehr und der Armee waren für die Bewältigung des Unfalls im Einsatz, viele davon unter schlechten Strahlenschutzbedingungen. Das wissenschaftliche Komitee für Auswirkungen radioaktiver Strahlung der UNO (UNSCEAR) nennt 31 unmittelbare zivile Todesopfer, die bei den Löscharbeiten starben. Mehrere Tausend Kinder erkrankten an Schilddrüsenkrebs, wovon 15 starben. Schwer einschätzbar ist, wie viele Opfer daneben in der Armee zu beklagen sind. Fachleute schätzen für die kommenden Jahrzehnte mehrere Tausend weitere Todesfälle, die mit dem Unfall in Tschernobyl zusammenhängen dürften. Dazu kommen grosse psychische und soziale Belastungen, denen die betroffene Bevölkerung im Nachgang der Katastrophe ausgesetzt war. Rund 135’000 Menschen mussten umgesiedelt werden. Die 4000 Quadratkilometer grosse Sperrzone um Tschernobyl wird noch lange Zeit bestehen. 

Die Katastrophe von Tschernobyl-4 rangiert auf der höchsten Stufe der siebenstufigen, internationalen INES-Skala, ebenso wie der Unfall in Fukushima-Daiichi im Jahr 2011. Die in Tschernobyl freigesetzte Radioaktivität war jedoch rund zehn Mal grösser als diejenige in Japan.

Reaktor ist nicht gleich Reaktor

RBMK-Reaktoren sind bei bestimmten Betriebspunkten instabil, sodass sich ihre Leistung bei ungenügender Kühlung unkontrolliert erhöhen kann. Bei den Leichtwasserreaktoren, wie sie in der Schweiz stehen, geschieht genau das Gegenteil: Werden sie ungenügend gekühlt, reduzieren sie ihre Leistung. Ein Unfall wie in Tschernobyl ist bei uns aus naturgesetzlichen Gründen nicht möglich. In Tschernobyl fehlten zudem das Reaktordruckgefäss sowie die in westlichen Kernkraftwerken üblichen weiteren Barrieren aus Stahl und Beton. Die Notkühlsysteme wiesen erhebliche Mängel auf. Sicherheitskultur und -standards westlicher Kernkraftwerke waren denjenigen der damaligen UdSSR weit überlegen.

Block 4 Sarkophag Tschernobyl web
Der Unglücksreaktor wurde in einen sogenannten Sarkophag verpackt, um weitere Emissionen zu verhindern. (Bild: M. Schorer 2016)

Folgen weltweit

Trotz den grossen technischen Unterschieden zwischen zivilen westlichen Reaktoren und jenem in Tschernobyl konnte die Kernenergiebranche einige Erkenntnisse aus dem Unfall nutzen. Sie flossen in überarbeitete Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission und der IAEO ein und verbesserten Prinzipien, Vorgehen und Massnahmen im Umgang mit Radioaktivität.

Die Kernkraftwerkbetreiber gründeten die WANO, eine weltweite Organisation, der alle kommerziellen Kraftwerkbetreiber angeschlossen sind. Sie dient dem internationalen Austausch von Erfahrung im Betrieb von Kernkraftwerken und hat zum Ziel, höchste Betriebssicherheit und -zuverlässigkeit zu erreichen.

Tschernobyl zeigte die Bedeutung menschlichen Verhaltens als Risikofaktor. Die Forschung intensivierte bereits in der Folge die nach dem Unfall auf Three Mile Island gestarteten Programme zur Verhaltenspsychologie im Bereich Mensch und Maschine. Die Forschungsresultate tragen seither dazu bei, die Verlässlichkeit von Operateuren sowie das Zusammenspiel von Betriebsmannschaften zu stärken.

In der technischen Weiterentwicklung von Kernreaktoren wurde fortan mehr Augenmerk auf inhärent sichere Reaktoren und passive Sicherheitssysteme gesetzt. Viele Neuentwicklungen flossen in moderne Reaktoren ein, die zurzeit gebaut werden oder bereits in Betrieb sind.

Fahrlässiger Verstoss gegen Sicherheitsvorschriften

Dem Unfall von Tschernobyl liegen grosse organisatorische Mängel in Kombination mit sicherheitstechnischen Mängeln zugrunde. Der Unfall ereignete sich bei Tests zum Anlagenverhalten bei einem Stromausfall. Verschiedene Umstände führten dazu, dass der Reaktor einen instabilen Betriebsbereich erreichte: Notkühlsysteme wurden abgeschaltet, automatische Signale für die Notabschaltung unwirksam gemacht oder überbrückt. Konstruktionsfehler im Regelstabsystem führten schliesslich dazu, dass beim Einfahren der Regelstäbe die Leistung des Reaktors auf nahezu das 100-Fache der Nennleistung stieg – viel zu schnell und zu massiv für die teilweise ausser Kraft gesetzte automatische Schnellabschaltung. Der Brennstoff erhitzte sich stark. Das Kühlwasser verdampfte schlagartig. Der Reaktordeckel konnte dem enormen Druck nicht standhalten. Zwei Explosionen mit Materialauswurf ereigneten sich, und die Anlage wurde stark beschädigt. Die konstruktionsbedingt grossen Mengen an Graphit im Reaktor gerieten in Brand. Mit der starken Hitze gelangte Radioaktivität in grosse Höhen und verteilte sich über weite Teile Europas.

Die Einsatzkräfte konnten durch Wassereinspeisung, Abwurf verschiedener Materialien wie Borsalz aus Militärhubschraubern und Einblasen von Stickstoff die Freisetzung der radioaktiven Schadstoffe allmählich verringern. Dazu waren grosse Anstrengungen nötig. Denn anders als in westlichen Reaktoren konnte im graphitmoderierten Tschernobyl-Reaktor die Kettenreaktion auch ohne Wasser weitergehen.

Block 4 Tschernobyl  Sarkophag neu
Eine neue Sicherheitshülle soll in Zukunft den alten Betonsarkophag zusätzlich schützen. (Bild: M. Schorer 2018)

Weitere Informationen zu Tschernobyl

Bericht des Deutschen Atomforums zum Reaktorunfall in Tschernobyl
ENSI-Bericht Die Unfallabläufe in Tschernobyl und Fukushima im Vergleich

Unfälle im Energiebereich

Wertvolle Informationen zur Sicherheit der verschiedenen Energieträger finden Sie im Energie-Spiegel 13 des Paul Scherrer Instituts.