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25.09.2018

Technologie mit viel Potenzial

ETH-Prof. Horst-Michael Prasser über Lehren, Aufgaben, Rollen und Zukunft der Kerntechnik

Technologie mit viel Potenzial

Die Schweiz bereitet den Ausstieg aus der Kernenergie vor, Deutschland hat den Ausstieg schon vor Fukushima beschlossen. Wie sehen Sie als Professor für Kerntechnik das: hat die Kernenergie wirklich keine Zukunft mehr?
Die Kernenergie hat das Potential, einen grossen Teil der Stromproduktion weltweit umweltfreundlich und nahezu klimaneutral zu schultern. Ohne Kernenergie wird es nicht möglich sein, Kohle, Erdöl und Gas zurückzudrängen, wie auch das Beispiel Deutschland zeigt. Da Forschung und Entwicklung das Sicherheitsniveau von Tschernobyl und Fukushima schon lange vor diesen Katastrophen weit hinter sich gelassen haben, sehe ich keinen Grund, nicht auf Kernenergie zu setzen. Diese Ansicht teilen offensichtlich viele Länder, in denen heute Neubauten geplant sind oder bereits durchgeführt werden. Allerdings muss die Nuklearbranche noch zeigen, ob sie den Slogan „Ein Unfall irgendwo ist ein Unfall überall“, den die IAEA nach Tschernobyl herausgab, wirklich umfassend verstanden hat.

Wie verstehen Sie diesen Slogan?
In Fukushima lag doch offensichtlich die Sicherheitskultur im Argen, denn der Störfall wäre mit einfachen und bekannten technischen Mitteln zu vermeiden gewesen. Warum konnte die nukleare Community nicht erkennen und verhindern, dass in Japan solche Defizite bestanden? Von einer echten globalen Sicherheitskultur sind wir auch heute noch zu weit entfernt.  Es braucht also noch internationales Engagement der ganzen Branche und auch mehr Transparenz, um die Sicherheitskultur weltweit zu verbessern. Deutlich unterstützen möchte ich in dieser Hinsicht den vom ENSI lancierten Schweizer Vorschlag zur Verbesserung der „Convention on Nuclear Safety CNS“ Die Schweiz hat auch auf technischem Gebiet einiges zu bieten, denn die Schweizer KKW haben sicherheitstechnische Nachrüstungen, die ein Fukushima verhindert hätten, schon vor Jahrzehnten durchgezogen.

Sie sagen, die Kernenergie hat weltweit Potenzial – aber interessieren sich überhaupt noch Studenten in der Schweiz für Kernenergie? Und haben diese eine Perspektive?
Bis heute haben 65 Studenten den Studiengang in „Nuclear Engineering“, der gemeinsam von ETH Zürich und EPF Lausanne angeboten wird, abgeschlossen.  Alle meiner Absolventen hatten einen guten Start, entweder ins Berufsleben oder als Doktoranden, etwa die Hälfte davon in der Schweiz. Ich nehme an, dass wir jene Studenten, die zurück in ihre Heimatländer gegangen sind oder die ihre Studien im Ausland fortsetzen, gut ausgebildet haben. So haben wir auch einen Beitrag zur Sicherheitskultur in anderen Ländern geleistet. 2014 haben wiederum 15 Studenten das Studium begonnen, hiervon 3 Schweizer. Daneben besuchen bis zu dreimal so viele Studenten anderer Masterprogramme einen Teil der Lehrveranstaltungen mit kerntechnischem Inhalt. Das ist auch ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Schaffung von „Human Capital“.

In andern Ländern wie USA, Finnland und Frankreich werden heute wieder Kernkraftwerke gebaut. Wie unterscheiden sie sich von den Schweizer KKW?
Es sind allesamt Reaktoren der sogenannten Generation III, die mit Einrichtungen zur Beherrschung einer Kernschmelze ausgestattet sind und bei der natürlich auch die Sicherheitssysteme zur Verhinderung der Kernschmelze wesentlich verstärkt wurden, Stichwort passive Sicherheit durch Systeme, die ohne Stromversorgung auskommen.

Und was können die KKW von morgen?
Mit Reaktoren, die mit schnellen Neutronen arbeiten, liessen sich langlebige Bestandteile im hochaktiven Abfall (sogenannte minore Aktiniden) in Spaltprodukte umwandeln, die innerhalb von zirka 1000 Jahren praktisch vollständig zerfallen. Diese Umwandlung nennt sich Transmutation. Die notwendigen Einschlusszeiten in einem Tiefenlager würden sich damit verringern. Ausserdem könnte man reichlich vorhandenes nichtspaltbares Uran in Spaltstoff umwandeln und so den Natururanverbrauch drastisch senken. Für beides bräuchte es Wiederaufarbeitungsanlagen – der Reaktor allein tut es nicht. Aber auch da gibt es Alternativen zu heute unbeliebten Verfahren. So könnte man neuartige pyrometallurgische Trennmethoden unmittelbar mit sogenannten Salzschmelzereaktoren koppeln. Auch in der Natur reichlich vorhandenes Thorium, das sich im Reaktor von selbst in Uran-233 umwandelt, könnte interessant werden. Es bildet im Gegensatz zu Natururan kaum minore Aktinide, was die Transmutation überflüssig machen würde. All das müsste sich aber auch wirtschaftlich durchsetzen und öffentliche Akzeptanz finden. Dahin ist es noch ein weiter Weg.

Warum sollen solche KKW in Zukunft überhaupt noch nötig sein?
Ich bezweifle, dass die erneuerbaren Energien allein die Versorgung absichern können. Hauptsächlich fehlen ausreichend effiziente und wirtschaftliche Energiespeicher. Ich betrachte es als Wunschdenken, dass sich dieses Problem im nötigen Umfang lösen lassen wird. Zudem verursachen auch die Erneuerbaren Umweltbelastungen. Diese  fallen im Verhältnis zur erzeugten Energiemenge stärker ins Gewicht als bei der Kernenergie, da die Energiedichte regenerativer Quellen viel geringer ist. Im Mix mit der Kernenergie wird eine Energiewende weg von den Fossilen realistischer, und dazu eben auch einen ganzen Zacken umweltfreundlicher. Ohne sie wird sie höchstwahrscheinlich scheitern.

Photo: ETH Zürich / Giulia Marthaler